Auch in Deutschland beginnt mit dem Kauf der Bearbeitungsrechte die Erfolgsgeschichte der Sesame Street. Die deutschen Kinder sitzen begeistert vor der Flimmerkiste und verfolgen das Geschehen, von Ernie, Bert und dem Krümelmonster, in der wohl bekanntesten amerikanischen Straße. Doch im Zuge der deutschen Entwicklung überleben nicht alle amerikanischen Figuren in der deutschen Sesamstraße: Ein Schreck für viele Kinder, denn Bibo und Oscar werden von Samson und Tiffy abgelöst.
Zu Beginn der deutschen Bearbeitung spielen, bei den deutschen Produzenten, jedoch ganz andere Faktoren eine große Rolle. Denn in Deutschland macht sich im Bereich der Vorschulpädagogik eine Trendwende breit: die leistungsorientierten Lernprozesse werden durch soziales Lernen abgelöst. So stehen zu Beginn der Produktion Lernziele wie Selbstentscheidung und Selbstverantwortung, neben der Verbesserung von Entwicklungs- und Bildungschancen, im Mittelpunkt. Nach einigen Pilotsendungen wird die erste deutsche Sesamstraße am 8. Januar 1973 auf den Sendern des Norddeutschen Rundfunks (NDR), Radio Bremens (BR), Hessischen Rundfunks (HR) und des Westdeutschen Rundfunks (WDR) gesendet. Die erste Staffel der Sesamstraße, die von 1973 bis 1975 gesendet wird, besteht zu 70 Prozent aus synchronisiertem Material und zu 30 Prozent aus neu angefertigten Beiträgen. „Zu Beginn der deutschen Bearbeitung drehten wir lediglich den Vorspann, den Nachspann und kleine inhaltliche Spots mit deutschen Zusammenhängen. Besonders viel Wert legten wir dabei auf den sozialen Bereich und versuchten vor allem Friedfertigkeit oder die Schlichtung eines Streits zu vermitteln“, erzählt Dr. Gerhard Vogel, Redakteur der Arbeitsgruppe Sesamstraße, im Interview mit dem Fernsehmuseum Hamburg.
Bibo gegen Bumfidel
Mit dem Beginn der zweiten Staffel, die in den Jahren 1976 bis 1977 gesendet werden, beträgt der deutsche Anteil bereits 50 Prozent. Im Zuge der Neuauflage entfällt die amerikanische Straßenszene, denn die Kinder sollen ihre Sesamstraßen-Lieblinge in vertrauter deutscher Umgebung wiederfinden. Grundlage dieser Veränderungen sind laut dem Hamburger Abendblatt auch „Gespräche mit Eltern und Erziehern, Gedankenaustausch mit Wissenschaftlern und die Ergebnisse einer Begleituntersuchung durch das Hans-Bredwo-Institut Hamburg.“ Unter der Puppen-Parade von Erni und Bert, Krümelmonster und Kermit, mischen sich nun neue Figuren wie der Zauberer Groß Mumpitz, oder lebendige Kinder, wie der Hamburger Bumfidel. Auch Filme zum sozialen Lernen, Realfilme und Sachfilme zur Wissensvermittlung stehen auf dem neuen Programm, denn die amerikanischen Produktionsteile zielen eher auf die Vermittlung von ABC, Zahlen und logischem Denken, ab. Auf die heile Welt Susans, Gordons, Bibos und Oscars müssen die deutschen Kinder nun aber verzichten.
Riesenbär und freches Federvieh
Erst in der dritten Staffel, die ab dem Jahr 1978 gezeigt wird, gibt es Ersatz für die amerikanischen Straßenszenen. „Mit Tiffy erscheint zum ersten Mal eine weibliche Puppe in der Hauptrolle. Sie bildet in ihrer pfiffigen Eigenbrötelei einen lustigen Kontrast zu Samson, einer bärenhaften, tapsigen, gutmütigen Figur. Zu Samson und Tiffy gesellen sich Henning Venske und Lilo Pulver“, kommentiert das Hamburger Abendblatt die neuen Puppen. Neben dem „Riesenbär“ und dem „frechen Federvieh“ werden auch Herr von Bödefeld und die Schnecke Finchen zur dauerhaften Fernsehfreundschaft der Kinder. Nach dieser neuen Konzeption sind die nächsten Sendungen geplant. Auch der Kooperationsvertrag zwischen dem NDR und Childrens Televison Workshop (CTW) wird neu geregelt. Nach diesem stellen die deutschen Produzenten die Konzeption, die Drehbücher, die Schauspieler und die Produktion im Studio Hamburg und die amerikanischen Produzenten liefern die Puppen, die Ideen zu Geschichten und geben Beratung im Puppenspiel.
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